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  Zentralasien - in der Jurte unterwegs im Tien Shan
 
Welzheimer Zeitung 19. August 2004
Text: Astrid Szelest


Zentralasien - 
in der Jurte unterwegs im Tien Shan


Bagira und Alcu, zwei weibliche Schneeleoparden, kämpfen spielerisch miteinander. Cunac, das männliche Exemplar, räkelt sich genüsslich in der Morgensonne. Seit 5.00 Uhr sitzen wir am Gehege, beobachten und dokumentieren jede Bewegung, jeden Laut der Tiere für Forschungszwecke. Nach zwei Stunden legen sich die Tiere zum Schlafen nieder.
 
Hier im Rehabilitationszentrum werden Schneeleoparden und Vögel gepflegt und, so weit als möglich, auf ein Leben in Freiheit vorbereitet. Für Bagira und Alcu kommt dies nicht mehr in Frage. Ihre Pfoten bzw. Krallen sind von den Fallen der Wilderer amputiert worden. Die Jagd auf Beute in freier Wildbahn ist somit unmöglich.
 
Zeit für unser Frühstück. Aus der Jurte, einem traditionellen runden kirgisischen Filzzelt, dringt Lachen und der Duft von frisch gebratenen Eiern. Neben den Eco-Volunteers und Gästen aus Belgien, England, der Schweiz und Deutschland, einem französichen Fotograf und einer Journalistin, sitzt die Rangereinheit „Gruppa Bars“ (auf deutsch „Gruppe Schneeleopard“) mit am Frühstückstisch. Seit 1999 unterstützt der Naturschutzbund Deutschland (NABU) dieses Projekt in Kirgistan. Gemeinsam mit der kirgisischen Regierung ist die Rangereinheit gegründet worden, um in den Bergen und auch operativ gegen die Wilderei von Schneeleoparden vorzugehen. Neben der Festnahme von Wilderern sind die Konfiszierung von gefangenen Schneeleoparden, Fellen und Waffen Schwerpunkte der Gruppe. Birga Dexel, Projektleiterin des NABU, ist ebenfalls momentan im Rehabilitationszentrum. Der NABU engagiert sich in Kirgistan auch in den Bereichen Rehabilitation, Umweltbildung und wissenschaftliches Monitoring.
 
Das Rehabilitationszentrum liegt im Biosphärenreservat „Issyk Kul“, welches im September 1998 ausgewiesen worden ist. Mit rund 44000 Quadratkilometern stellt das Biosphärenreservat eine Fläche unter Naturschutz, die in etwa der Größe der Schweiz entspricht. Wir schwimmen bei Sonnenuntergang im Issyk-Kul-See, umrahmt von einer imposanten Kulisse mit mächtigen Bergen bis über 5000 m. Der Name Issyk Kul, zu deutsch „warmer See“, kommt nicht von ungefähr. Warme Quellen speisen den See ohne Abfluss, dessen Spiegel auf 1600 m liegt. Selbst im Winter gefriert das kristallklare, leicht salzige Wasser nicht. Mit einer Länge von 170 km und einer Breite von 70 km ist der Issyk Kul nach dem Titicacasee in Südamerika der zweitgrößte Gebirgssee der Welt.
Er ist mit einer Fläche von rund 6200 Quadratkilometern 11 mal so groß wie der Bodensee und erreicht eine Tiefe von ca. 670 Metern. Nach einer Sage befand sich auf dem Grund des Sees ein Tal, in dem Menschen lebten. Eines Tages schmolz der Schnee auf den Bergen und es begann monatelang zu regnen und die Häuser verschwanden unter den Wassermassen. Es wird vermutet, dass sich Ruinen nahe den Dörfern Baetovo (Nordküste) und Darchan (Südküste) im Wasser befinden. Bis heute sind diese jedoch unentdeckt.
 
In einem schmalen Hochgebirgstal, einer sogenannten Syrte, liegt das Jurtendorf Orto Baisoron auf rund 2400 Meter Höhe. Eingebettet in blumenreiche Hochgebirgsmatten und Fichtenwälder finden sich hier zahlreiche Tier- und Pflanzenarten ein. Pferde, Kühe und Schafe grasen friedlich um die Jurten.
 
Die einzigartige Nomadenkultur der Kirgisen hat bis in die Gegenwart überlebt. Noch heute ziehen die Hirten mit ihren Tieren in das Gebirge um dort über den Sommer in Jurten zu leben. Im Rahmen eines sanften und ökologisch vertretbaren Tourismus werden wir als Besucher in den Alltag der Familien integriert. Der orientalische Flair spiegelt sich im Innern der Jurten wider. Traditionell werden Mahlzeiten auf dem Boden sitzend an niedrigen Tischen eingenommen. Farbenfrohe Teppiche und Wandbehänge sorgen für Behaglichkeit.
 
Jede Familie geht nach wie vor ihrer ursprünglichen Tätigkeit nach. In jedem Camp sind nur wenige Besucher. Weit ab vom durchorganisierten Standardtourismus finden wir hier Aktivitäten nach unserem Geschmack. Trekkingtouren, kulturelle Besichtigungen, ornithologische Touren und Reitausflüge. Mit oder ohne Führer. Das Pferd ist eines der wichtigsten Fortbewegungsmittel in Kirgistan. Auch wir, als ungeübte Reiter, haben uns gleich von Anfang an mit diesen gutmütigen Tieren vertraut gemacht. Wer noch nicht reiten kann, lernt es hier! Ängste, dass mit uns „der Gaul durchgeht“ erweisen sich als unbegründet. Im Gegenteil, Nichtkirgisen haben meist Probleme die Pferde in Trab zu halten...
 
Ein ganz besonderer Ort ist die Jurtensiedlung am Son-Köl-See. Obwohl wir gut akklimatisiert sind, fällt das Atmen anfangs auf über 3000 Meter merklich schwer. Besonders deutlich wird dies beim Volleyballspiel mit den Kindern der Hirten und bei Trekkingtouren. Faszinierend ist das tiefe Blau des Son Köl. Umgeben von den schneebedeckten Bergen des Tien Shan Gebirges ist der See eingebettet in eine steppenähnliche, weite Hochgebirgslandschaft jenseits der Baumgrenze. Vor dieser Kulisse tragen Männer von verschiedenen Dörfern Kampf- und Reitspiele nach alter Tradition im Rahmen einer Schuljahrgangsfeier aus.
 
Begleitet wird das Spektakel von einer kirgisischen Musikgruppe aus Bishkek, die für uns am nächsten Tag ein Privatkonzert mit dem traditionellen dreiseitigen Zupfinstrument Komus und einer Temir Komus (Maultrommel) gibt. Sentimentale Weisen erzählen von Liebe, Sehnsucht und Freiheit.
 
Angepasst an die rauen Lebensumstände im Gebirge sind die Gerichte der Kirgisen. Durch den erhöhten Kalorienbedarf wird meist etwas fetthaltiger gekocht.
Als Grundlage dienen Nudeln, Kartoffeln, Buchweizen und Reis. Fleisch (überwiegend Schaf und Rind) wird klein geschnitten. Gemüse (Kohl, Karotten, Paprika, Tomaten, Gurke, Zwiebeln, Knoblauch) wird ebenfalls verwendet. Neben Melonen, Aprikosen, Kirschen, Johannisbeeren und Himbeeren stehen aromatische Marmeladen und Honig zu jeder Mahlzeit bereit. Das Nationalgericht „Beschbarmak“, zu deutsch „mit den 5 Fingern essen“ besteht aus Nudeln und gekochtem Fleisch. Generell gibt es zu jedem Essen Fladenbrot oder Boorsock (ein in Fett gebackenes Brot). Airan (Joghurt), Süsmö (eine Art Quark), Kefir, Schafsfett und Sahne werden als Milchprodukte gereicht. Etwas säuerlich und mit geringem Alkoholgehalt ist Kymys, gegorene Stutenmilch. Zu jeder Mahlzeit wird Chai (leckerer Schwarztee) aus Schalen getrunken.
 
Die Landessprache ist kirgisisch, bis auf wenige Ausnahmen wird überall russisch gesprochen. Da wir weder das eine noch das andere beherrschen, sind wir auf unsere Dolmetscherin angewiesen. Tynchtyk, eine Germanistikstudentin, begleitet uns auf der gesamten Tour und ermöglicht einen intensiven Kontakt zur Bevölkerung. Der Transport zwischen den Camps erfolgt mit Geländefahrzeugen (zum Teil auf Wegen, die in Deutschland allerhöchstens als Wanderweg mit 5 Warntafeln ausgewiesen wären...).
 
Während unseres Aufenthalts haben wir uns stets sicher gefühlt. Auf Grund der sanften Islamierung besteht keine akute Gefahr von Anschlägen. Von Reisen in die südliche Region wird abgeraten. Aktuelle Infos vor Reiseantritt sind beim Auswärtigen Amt erhältlich (www.auswaertiges-amt.de).
 
Kirgistan zählt zu den ärmsten Ländern der Welt mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen von rund 15,00 €. Ein unsagbarer Reichtum liegt in den Naturschätzen und der Herzlichkeit der Menschen. Beides konnten wir auf unserer Tour genießen.
 
Thorsten Harder lebt seit vielen Jahren in Kirgistan und berät dort das kirgisische Umweltministerium im Auftrag der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ). Er ist der Koordinator des Deutsch-Kirgisischen Projektes „Schneeleopard“ und Begründer von „IRBIS“. Dieser Veranstalter setzt sich für einen schonenden und ökologisch vertretbaren Tourismus in Kirgistan ein.
Die lokale Bevölkerung ist voll in das Konzept eingebunden und übernimmt große Teile des Angebots selbst, was Arbeitsplätze für die Region schafft. Das Einkommen wird möglichst gerecht verteilt. Diese Form des Einkommens bietet eine sinnvolle und langfristige Alternative zur Großwildjagd.
Ein angemessener Betrag fließt in die Infrastruktur der Region oder direkt in Naturschutzvorhaben. Jeder Gast trägt einen persönlichen Teil zur Erhaltung der einmaligen Natur und Kultur Kirgistans bei.
 
Kontaktadresse IRBIS in Deutschland:
Elke Mahlke, Ruppiner Straße 13, 15738 Zeuthen, Telefon: 033762/20595.
 
Das Schneeleopardenprojekt und die Rangereinheit „Gruppa Bars“ des NABU werden aus Spenden finanziert. Nähere Infos unter www.schneeleopard.de !