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  Im Tien Shan auf der Suche nach dem Geist der Berge
 

Welzheimer Zeitung 6. August 2005
Text: Astrid Szelest

Im Tien Shan auf der Suche nach dem Geist der Berge
            

               


Asylbek strahlt, wenn er von den Schneeleoparden spricht. Sein Gesicht ist vom Wetter gegerbt, die braunen Augen sind wach und unruhig. Während er im Haus der Sicherheitskräfte Kartoffeln für das Mittagessen schält, berichtet er vom Alltag im Rehabilitationszentrum in der Nähe des Issyk-Kul-Sees in Kirgistan. Er ist einer von 4 Securities, zusammen mit seinen Kollegen ist er für die Sicherheit und Pflege der Tiere verantwortlich. Gearbeitet wird im Schichtdienst, jeweils zwei Wärter sind drei Tage rund um die Uhr anwesend. Bereits gegen 5.00 Uhr werden die Schneeleoparden Kunak, Bagira und Alcu aktiv. Die konfiszierten Großkatzen wurden mit Tellerfallen von Wilderern gefangen und sind teilweise an den Pfoten verletzt, eine Auswilderung kommt für sie nicht mehr in Frage. Für Forschungszwecke wird das Verhalten der Tiere genau dokumentiert. Ein fliegender Gast gesellt sich gerne zu den Leoparden: der Bartgeier, er kreist über dem Gehege und hält Ausschau nach Knochen, welche er an einem Felsvorsprung sprengt und das Innere genüsslich verspeist. Übrige Knochen und Aas müssen regelmäßig aus dem Gehege von den Wärtern entfernt werden. Einmal täglich werden die Tiere abwechselnd mit Rind-, Esel- oder Schaffleisch gefüttert, Menge und Futterverhalten der Tiere werden ebenfalls schriftlich festgehalten. Fremde Weidetiere müssen regelmäßig mit dem Pferd vom Rehabilitationsgelände vertrieben werden. Das Fell der Leoparden ist bei Wilderern sehr begehrt und bringt in Kirgistan zwischen 800 und 1500 US$ ein, eine Überwachung des Geheges rund um die Uhr ist deshalb unumgänglich. Direkt oberhalb der Umzäunung ist eine Jurte, ein kirgisisches rundes Filzzelt, aufgestellt. Zusammen mit dem Wachhund verbringt einer der Sicherheitskräfte dort die Nacht und patroulliert regelmäßig das gesamte Gelände.

Mit weit ausholenden Bewegungen gestikuliert Asylbek, wie der Schnee von den Gittern des Geheges im Winter entfernt werden musste. Die Schneelast drückte auf die Maschendrahtbespannung, alles ist kontrolliert, nachgezogen und notfalls repariert worden. Der Weg zum Rehabilitationszentrum war in den Wintermonaten nur frühmorgens, abends und nachts befahrbar. Tagsüber schmolz der Schnee und das Befahren war im Matsch unmöglich, um dem vorzubeugen wird der Weg nun erneuert und befestigt.
 
Im kleinen Steinhaus finden die Sicherheitskräfte notdürftig Schutz vor Witterungseinbrüchen und Kälte. Zwischenzeitlich dampfen die Kartoffeln auf dem kleinen Holzofen, der gleichzeitig als Heizung für das ganze Haus dient. Büro, Küche, Schlafplatz – alles auf engstem Raum.
 
Der NABU hat im August 2004 in Kooperation mit der englischen Tierschutzorganisation „Care for the wild“ das weltweit größte Außen-Schneeleopardengehege in Kirgistan eröffnet. Das bisherige Rehabilitationszentrum für Schneeleoparden, Vögel und andere Tiere wurde komplett modernisiert und vergrößert. Das Besondere an dem Leopardengehege ist seine Größe und Lage sowie die naturgerechten Angebote.
Auf einer Höhe von 1850 Metern und einer Fläche von ca. 7000 Quadratmetern haben die 3 Schneeleoparden jetzt ausreichend Platz zum Laufen und Springen, ein kleiner Bachlauf führt durch die Anlage. Die meisten Menschen in Kirgistan haben noch nie einen Schneeleoparden, den man auch den „Geist der Berge“ nennt, gesehen.
Kunak, Bagira und Alcu fungieren hier als Botschafter für ihre Art und machen die Bevölkerung auf ihre Bedrohung aufmerksam. Viktor Kulagin leitet seit 2003 das Rehabilitationszentrum, sein Leben lang hat er für den Naturschutz gearbeitet. Unter anderem als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften in Bischkek, später in der Verwaltung eines Naturschutzgebiets. Er koordiniert die Einsatzkräfte, kooperiert mit den umliegenden Gemeinden und dem Department für Biodiversität, welches seit neuestem direkt dem Präsidenten des Landes unterstellt ist. Das Department übergibt exklusiv sämtliche konfiszierten Tiere dem NABU Kirgistan zur Rehabilitation und Auswilderung.
 
In den Volieren herrscht reger Betrieb. Verletzte Vögel wie Falken und Adlerbussarde werden gepflegt und anschließend wieder ausgewildert. Wenn die teilweise beschlagnahmten Tiere ins Rehabilitationszentrum gebracht werden, sind sie sehr ängstlich, scheu und nicht mehr wildtauglich. Mit Fingerspitzengefühl und viel Geduld bereiten Asylbek und seine Kollegen die Vögel auf die Freiheit vor. Wenn die Tiere kräftig genug sind, erlernen sie wieder das Jagen von Beute mit Hilfe einer Schnur und einem Fleischstück. Nachdem die Volieren vom wuchernden Gras befreit sind, Wasser aufgefüllt ist und die Vögel gefüttert sind, wartet Pulka, einer der drei Wachhunde im Rehabilitationszentrum, schon ungeduldig auf seine tägliche Streicheleinheit.
 
Im Frühjahr hat der NABU tausend Landschildkröten, welche ebenfalls in Kirgistan heimisch sind, von einem Feinkosthändler beschlagnahmt, die Lieferung war für ein chinesisches Restaurant vorgesehen. Einige Schildkröten waren bereits tot, ein Großteil der Tiere war völlig ausgehungert und apathisch. Nachdem die Schildkröten aufgepäppelt worden waren, wilderten sie NABU-Mitarbeiter und Veterinäre im Grenzgebiet zu Kasachstan, ihrer natürlichen Umgebung, aus. Wenige Exemplare sind noch immer im Rehabilitationszentrum.
 
In dem Hochgebirgstal, in der Nähe des Geheges, sind entlang eines Baches einige hundert Setzlinge gepflanzt worden. Neben Weidenbüschen, die Singvögeln Nistmöglichkeiten bieten sollen, wurden Obstbäume und Beerensträucher eingesetzt um das karge Tal fruchtbar zu machen und um als Beispiel für die Bevölkerung zu dienen. Aufgrund der anhaltenden Trockenheit müssen die jungen Setzlinge von Hand täglich mit Eimern gegossen werden.
 
Nach dem Essen und einem arbeitsreichen Tag, der noch lange nicht zu Ende ist, sitzt das Sicherheitspersonal zusammen mit dem Leiter bei einer Tasse Tee an dem niedrigen Tisch und bespricht die Arbeitsabläufe der kommenden Tage.
 
Thorsten Harder ist von Seiten der kirgisischen Regierung für die Durchführung des Projekts vor Ort zuständig. Er lebt seit vielen Jahren in Kirgistan, war als Experte des Centrums für internationale Migration und Entwickling (CIM) von der Bundesregierung abgesandt, berät das Umweltministerium und ist jetzt Leiter der NABU Repräsentanz Mittelasien. Mit seinem Reiseunternehmen „IRBIS“ propagiert er ein Musterprogramm für einen ökologisch orientierten Tourismus, welches im Januar 2005 mit dem Sonntag-Aktuell-Touristik-Preis ausgezeichnet worden ist. Für einfache Leute, die ihre Wirtschaft nicht aufgegeben haben, ist so eine Einkommensquelle geschaffen worden. Ein angemessener Betrag fließt in die Infrastruktur der Region oder direkt in Naturschutzvorhaben.
 
Mars und seine Familie haben sich im vergangenen Jahr entschieden, Gäste in ihren Jurten aufzunehmen. Nach wie vor gehen sie ihrer Viehwirtschaft in der Hochgebirgsregion Son Köl nach. Besucher werden herzlich betreut und versorgt.
Ein Teil der Familie zieht im Sommer mit Jurte und Vieh in die Berge, um die saftigen Sommerweiden bis zu einer Höhe von 3800 m zu nutzen. Neben der Schafzucht stellt die Pferdezucht und Stutenmilchgewinnung eine Einkommensquelle dar. Kühe weiden ebenfalls auf den Hochebenen. Die Gäste sind in den Alltag integriert, erleben einen Hauch des Nomadendaseins zu Pferd oder wandernd und die ursprüngliche Natur und Kultur Kirgistans.
 
Helmut, ein Geologe aus München, und seine Frau Christa rennen um die Wette. Im silbernen Mondschein lässt sich der große Schafsknochen leicht finden. Mit Lachen, Geschrei, Körpereinsatz und viel Spaß spielen die Familien aus dem Jurtendorf und Gäste gemeinsam. Aufgrund der Höhe kommen die Nichtkirgisen ordentlich ins Schnaufen. Das Spiel nennt sich Aktschölmök und wird traditionell in hellen oder Vollmondnächten bei den Hirten gespielt. Zwei Mannschaften versuchen gegeneinander einen geworfenen Knochen auf einen Metalleimer zu schlagen. Bis spät in die Nacht dauert der Wettstreit an, wer letztendlich gewinnt ist zweitrangig. Mars erklärt zum Abschluss: „Die Freundschaft hat gesiegt!“.
 
Am Morgen liegen Ruhe über der kleinen Jurtensiedlung und Nebelschwaden auf dem Son-Köl-See, dessen Spiegel auf über 3000 m liegt. Der See ist in eine flache Hochgebirgsebene eingebettet, die weitläufig und sanft hügelig ist. Edelweiß, Enzian und viele andere Hochgebirgspflanzen sind von der eiskalten Nacht mit Reif überzogen. Kühe, Schafe und Pferde liegen friedlich in der roten Morgensonne. Frauen in bunten Kittelschürzen und Kopftüchern melken die Kühe, ein Junge treibt mit seinem Pferd die Schafe aus dem Gatter auf die Weide. Die Stuten werden alle zwei Stunden, fünf mal am Tag gemolken und grasen in der Nähe des Camps. Rauch steigt aus der Essensjurte auf und der Samowar, ein Heißwasserboiler, der zur Zubereitung von Tee mit Holzkohle geheizt wird, dampft vor dem Eingang.
 
Mars fängt einen noch wilden Hengst mit dem Lasso. Er redet beschwichtigend auf das Tier ein und strahlt mit seinen kontrollierten Bewegungen viel Ruhe aus. Langsam wird das Tier an Sattel und Reiter gewöhnt. Hier oben wird die Harmonie von Natur und Mensch zum Erlebnis.
 
Bereits zum zweiten mal haben wir, Astrid und Rüdiger Szelest, dieses faszinierende Land in Zentralasien bereist und waren wieder aktiv im Rehabilitationszentrum tätig. Zusammen mit Peter Höschele aus Steinenberg haben wir im März diesen Jahres einen Informationsabend und eine Ausstellung, veranstaltet von der Kultursäule Welzheim, durchgeführt und Spenden (330,00 €) für das Schneeleopardenprojekt gesammelt. Ergänzt durch weitere private Spenden konnten wir Thorsten Harder und Viktor Kulagin direkt vor Ort einen Scheck in Höhe von 500,00 € übergeben. Um dem Sicherheitspersonal verbesserte Arbeits- und Unterkunftsbedingungen zu bieten, wird momentan ein Holzhaus im Rehabilitationszentrum erstellt. Wissenschaftliche Mitarbeiter und ehrenamtliche Helfer, sogenannte Ecovolunteers, finden hier ebenfalls künftig Obdach. Vom Spendenbetrag werden Fenster und Türen für dieses Holzhaus finanziert. Ein herzliches Dankeschön aus Kirgistan an alle Spender.
  
Um die Arbeit und Hilfe an Mensch, Natur und Tieren in Kirgistan weiterhin zu unterstützen und Spenden zu sammeln, planen wir im Herbst weitere Ausstellungen und Informationsabende in Schorndorf und im Kreis Esslingen.
 
In den Medien ist in den vergangenen Monaten und Wochen von Unruhen und Aufständen, bedingt durch den Regierungssturz des ehemaligen Präsidenten Akajew, berichtet worden. In der Homepage des Auswärtigen Amts ist ein Reisehinweis eingetragen. Insbesondere wurde zur Vorsicht während der kirgisischen Präsidentenwahl am 10. Juli 2005 geraten.
 
Wir waren während des Wahlzeitraums im Land, alles war wie gewohnt friedlich und ruhig. Viele Menschen in Bischkek, die nur wenige hundert Meter vom weißen Haus arbeiten und leben, haben von der angeblichen „großen Revolution“ erst am Abend oder nächsten Tag in der Presse erfahren. Unserer Auffassung nach handelt es sich bei den in Deutschland publizierten Bildern um Momentaufnahmen. Wir hatten den Eindruck, dass insbesondere auf dem Land, in den Dörfern und im Gebirge keine Gefahr für Reisende besteht.
 
Kontaktadresse IRBIS in Deutschland:
Elke Mahlke, Ruppiner Straße 13, 15738 Zeuthen, Telefon: 033762/20595,
www.irbis.kg.
 
Das Schneeleopardenprojekt des NABU wird aus Spenden finanziert. Nähere Infos unter www.schneeleopard.de.