Der Biologe und Wolfsforscher Vladimir Bologov gehört zu den wenigen, die sich in Russland für den Schutz der Wölfe einsetzen. Im deutschen und internationalen Fernsehen sowie in der Presse wurde mehrfach über den Experten berichtet, er gilt als Anwalt dieser Kreatur. Wir packten unsere Rucksäcke und besuchten ihn in der südwestlichen Taiga in seiner Forschungsstation.
Tief sitzt die Angst des Menschen vor dem Wolf. In Märchen, Mythen und Legenden wird er als blutrünstiges Monster dargestellt. Langsam und auf leisen Pfoten kehrt er nun auch wieder nach Deutschland zurück. In Russland haben Wölfe ihren festen Platz in den weitläufigen Wäldern. Aber die Menschen hassen sie.
Rund 450 km nordwestlich von Moskau, im Dorf Bubonitzy, liegt die biologische Station Chisty Les (sauberer Wald) im Distrikt Toropets in einem Biosphärenreservat. In diesem Distrikt, im Nordwesten der Region Tver, findet man weitläufige Wälder, Moore, Seen und Heidefelder. Auf dem sandigen Boden gedeihen überwiegend Kiefern und Birken. Hier haben Wolf, Braunbär, Luchs und Elch ihren Raum zum Leben. Die Ursprünglichkeit der Landschaft beeindruckt uns. Im Dorf sind nur wenige Häuser, keine Geschäfte, kaum Autos. Hühner picken auf der sandigen Straße. Es scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Weit weg von Lärm, Hektik, einem durchorganisierten und geplanten Tagesablauf findet die westeuropäische Seele hier eine sanfte Entschleunigung und viel Ruhe.
Während uns Vladimir Bologov in seiner gemütlichen Küche Tee kocht, beginnt er zu erzählen. In der Region Tver ist ein großer Wolfsbestand angesiedelt, der seit über 30 Jahren erforscht und beobachtet wird. Der 42-Jährige führt die Arbeit seines Vaters Viktor Bologov, ebenfalls ein bekannter russischer Wolfsforscher, seit 1984 fort und begann 1993 mit seiner eigenen Forschung. Auf einer Fläche von rund 34 000 Quadratkilometern hielt sich der Bestand in den letzten zehn Jahren in Tver bei 350 bis 850 Tieren. Obwohl die Wolfspopulation mehr und mehr zurückgeht, werden die Tiere in Russland das ganze Jahr über gejagt. Für jeden erlegten Wolf bezahlt die Regierung eine Prämie von rund 45 Euro - eine erträgliche Einkommensquelle für die Jäger. Die Tiere sind unsäglichen Qualen ausgesetzt, vegetieren lange in Fallen vor sich hin, werden geschlagen, vergiftet und getötet.
Die Behörden sind nicht bereit, den Wolf gesetzlich zu schützen. Sie argumentieren damit, dass Haustiere angegriffen werden. Tatsächlich kommt dies immer wieder vor. Nachdem es aber keine Entschädigung für Wolfsrisse (wie beispielsweise in Italien) gibt, kann dies nicht mit Zahlen belegt werden. Auch wird dem Wolf die Tollwutverbreitung angelastet. Lediglich drei von 370 Fällen der vergangenen zehn Jahre in der Region Tver können Wölfen zugeordnet werden. Das Hauptargument ist sicherlich der Schaden an Jagdtieren. Für Behörden bedeutet die Jagd eine sichere Einnahme, da jeder Jäger für seine Jagdgenehmigung bezahlen muss.
Bologovs Ziel ist es, langfristig das Prämiensystem abzuschaffen und den Wolf unter gesetzlichen Schutz zu stellen, zumindest aber das Vergiften zu verbieten. Mit seinem Wolfsprojekt möchte er der Natur das zurückgeben, was der Mensch ihr genommen hat. Von Jägern und aus Zoos kauft er Wolfswelpen und zieht sie auf. Bereits 17 Wölfe konnten von seiner Obhut erfolgreich ausgewildert werden. Er beobachtet und filmt die Tiere täglich, in Kürze wird das russische Fernsehen eine Serie über seine Wolfswelpen ausstrahlen.
Aktuell wird das Verhalten von zwei unterschiedlichen Wolfsgruppen erforscht, verglichen und studiert, bevor sie ausgewildert werden. Laetitia Becker, eine 24-jährige Biologin aus Frankreich, betreut eine Gruppe von sieben Wölfen. Die Welpen sind und waren nicht in einem Gehege und werden mit größtmöglichster Freiheit und so wenig wie möglich Kontakt zum Menschen
großgezogen. In einem weitläufigen eingezäunten Grundstück (eineinhalb Hektar) befindet sich die andere Wolfsgruppe von Bologov mit fünf Tieren, die von Studenten und Professoren der Universität Moskau erforscht wird. Nachdem einige Wissenschaftler abgereist sind, übernehmen wir mit drei Studenten das Monitoring der Wolfsgruppe im Gehege für etwa vier Stunden täglich, beobachten und notieren das Verhalten der Tiere. Die Umzäunung ist etwa fünf Kilometer von der Forschungsstation entfernt. Jeden Morgen und Abend gehen wir zu Fuß durch Wald und Feld zu dem verlassenen Dorf, in dem die Forscher untergebracht sind. In den Häusern hat sich in den vergangenen 60 Jahren nur wenig verändert. Gekocht wird auf einer Feuerstelle und das Wasser wird aus dem Brunnen geschöpft.
Um den Wolfsbestand und den Aufenthalt der Wölfe in seiner Region zu bestimmen, ist es erforderlich, dass Vladimir Bologov regelmäßig auf Spurensuche geht. Bei unserer ersten Exkursion mit ihm sehen wir eine 20 Zentimeter große, frische Spur eines Bären. Aufgrund der Trockenheit haben sich die Wolfsrudel tiefer in die Wälder verzogen und es sind keine frischen Wolfsspuren erkennbar. Im Winter ist die Spurensuche im Schnee wesentlich einfacher. Eine weitere Möglichkeit, die Wölfe ausfindig zu machen, ist nachts dem Heulen der Wolfsmeute zu lauschen und dies aufzuzeichnen. Mit den gespeicherten Daten kann eine digitale Karte gezeichnet werden.
Außer seiner Forschung leistet Bologov wichtige Aufklärungsarbeit. Er zeigt den Viehbesitzern, wie sie ihre Tiere schützen können, informiert Besuchergruppen und Schulklassen.
In seiner Forschungsstation haben Wissenschaftler und Interessierte die Möglichkeit, sich über Wölfe und seine Arbeit zu informieren sowie die unberührte Natur zu genießen. Wir treffen Steffen, einen Zoologen aus Brandenburg. Er ist für das Wolfsprojekt dort zuständig und bereits zum zweiten Mal hier in Chisty Les.
Schon nach kurzer Zeit grüßen die Dorfbewohner freundlich, wenn sie uns mit ihren Geländewagen begegnen. Der nächste Ort mit Einkaufsmöglichkeit liegt rund 40 Kilometer und viele Schlaglöcher entfernt. Jeder hat Zeit für ein Gespräch, eine Tasse Tee oder für eine von Natascha Bologovs kulinarischen Köstlichkeiten. Während unseres Aufenthalts ist es sehr heiß. Wir freuen uns immer auf die Abkühlung im See, der mit Seerosen gesäumt ist. Samstags heizt man die „Banja“ im Dorf an. Traditionell wird das russische Badehaus mit einem Holzofen erhitzt. Ähnlich der finnischen Sauna (die Temperatur liegt bei 80 bis 100 Grad) wird ein Birkensud über die heißen Steine gegossen.
Wir sind beeindruckt von Vladimir Bologovs Arbeit für und mit Wölfen. Um sein Projekt weiter betreiben zu können, ist er auf Sponsoren angewiesen. Aber auch als freiwilliger Helfer kann man seine Arbeit aktiv und finanziell unterstützen.
Aus Kostengründen konnten die freigelassenen Tiere bisher nicht mit GPS-Halsbändern ausgestattet werden. Mit diesen Halsbändern könnten weitere wichtige Informationen wie Aufenthalt, Beute, Rudelgröße und Lebensdauer gesammelt werden. Wenn ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, soll ein Wolfsinformationszentrum in einer alten Schule eingerichtet werden.