Corinna Lutz aus Rudersberg und die Brüder Dominik und Daniel Kuss aus Welzheim haben sich im August auf das Abenteuer Wildnis eingelassen und als Ökovolontäre den russischen Wolfsforscher Vladimir Bologov unterstützt.
Von Annette Clauß
Kein Strom, kein fließend Wasser, bescheidene Kost und Schlafen unter freiem Himmel - ein Luxusurlaub sieht anders aus. Corinna Lutz aus Rudersberg und die Welzheimer Daniel und Dominik Kuss haben sich trotzdem vom Ruf der Wildnis locken lassen und sind im August für knapp drei Wochen nach Sibirien gereist. Mit dem Flugzeug ging es nach Moskau, von dort sechs Stunden im Auto über Schotterpisten bis ins Nirgendwo, in das Dorf Chistoje. Wenn Dominik Kuss die Gegend beschreibt, genügt ihm ein Wort: "Pampa". Dort haben sie den russischen Wolfsforscher Vladimir Bologov bei seiner Arbeit unterstützt: Sie haben Spuren von Wölfen und deren Beutetieren verfolgt, diese analysiert und aufgezeichnet. "Klassische Feldforschung" - so beschreibt Astrid Szelest die Arbeit der Ökovolontäre, mit denen sie den Sommer in Sibirien verbracht hat. Die 41-jährige Welzheimerin und ihren 45-jährigen Mann Rüdiger zieht es jedes Jahr in die südwestliche Taiga, wo "das warme Herz Europas schlägt".
Auch die 26-jährige Corinna Lutz ist eine "Wiederholungstäterin". Schon im vergangenen Jahr war die Polizeiobermeisterin in Sibirien, um ein ehemaliges Schulhaus in ein Wolfsinformationszentrum umzubauen. Vom Leben in der Taiga ist sie begeistert: "Die Leute und die Landschaft sind echt der Hammer." Ihre Erzählungen haben die 18-jährigen Kollegen neugierig gemacht. So sehr, "dass sie sich freiwillig bereit erklärt haben, mitzugehen", sagt Corinna Lutz und lacht.
Ihr Humor hat den drei Ökovolontären in Sibirien vieles leichter gemacht. Das extrem einfache Leben dort ist ein Kulturschock, den manche besser, manche schlechter verkraften. "Man muss sich auf die Natur einlassen, es gibt keinen Animateur, nur absolute Wildnis", sagt Astrid Szelest: "Menschen, die eine Struktur brauchen, tun sich da schwer." Das fängt damit an, dass Russen ein anderes Verhältnis zur Zeit haben. So kann es vorkommen, dass man sich auf 14 Uhr verabredet hat, der Betreffende aber erst vier oder fünf Stunden später aufkreuzt. "Und manchmal kommt er auch gar nicht", sagt Corinna Lutz, die mittlerweile zwischen "deutscher Zeit" und "russischer Zeit" unterscheidet.
Gewaschen haben sich die Ökovolontäre im Fluss, das Trinkwasser kam aus Quellen. "Aus dem Trinkwasser-Eimer mussten wir manchmal die Frösche rausklauben", erinnert sich Daniel Kuss. Gekocht wurde auf offenem Feuer: Reis, viel Reis gab es, manchmal auch Buchweizen. Das Dosenfleisch haben die drei links liegen lassen, ebenso den Dosenfisch. "Das war ein Fisch mit Kopf, Schwanz und Augen, den sie in die Dose gepackt hatten."
Ihre Zelte haben die Ökovolontäre rund sechs Kilometer vom Dorf entfernt aufgeschlagen und sich dort auf die Suche gemacht. Sie haben Spuren von Marderhunden und Waschbären, von Luchsen, Wildschweinen, Bären und Wölfen entdeckt. Sie haben einen Dachs beobachtet und die Begegnung mit einem Rauhfußkauz werden sie nie vergessen. "Der saß auf einem Baum mit dem Rücken zu uns und hat uns angeschaut. Dann ist er geräuschlos davongeflogen", erzählt Daniel Kuss, der beinahe auf eine giftige Viper getreten wäre. Einen Wolf in freier Wildbahn haben sie nicht gesehen. "Der Wolf ist ein absoluter Tarnkünstler. Er ist da, hält sich aber am Rande des Geschehens auf", wissen die Szelests. Aber die Ökovolontäre haben Wölfe heulen gehört, nur wenige hundert Meter entfernt. Experten wie Bologov können aus den Rufen schließen, wie viele Tiere zum Rudel gehören und ob Weibchen oder Welpen darunter sind. Nachts, bei vier Grad Celsius, sind die Ökovolontäre mit ihm um das Feuer gesessen, haben gewartet und gelauscht. Tagsüber lagen die Temperaturen bei bis zu 40 Grad, zum Glück waren die Brände einige hundert Kilometer entfernt.
Morgens gegen sieben Uhr ging es für ein paar Stunden in den Schlafsack, danach standen Ausflüge, Schwimmen im See oder Binokel auf dem Programm. "Absolute Entschleunigung" - so beschreiben die Russland-Reisenden ihre Zeit im Camp. "Die Rückkehr war ein richtiger Schock", sagt Corinna Lutz. Dominik Kuss hat sich zuhause erstmal wieder an fließendes Wasser gewöhnen müssen. "Man lernt das schon zu schätzen. Aber man sieht auch die Nachteile hier und merkt, dass man auch mit weniger zufrieden sein kann." Für Corinna Lutz jedenfalls steht fest: "Das Leben dort ist viel schöner, viel freier."
Vielleicht sieht der wahre Luxus eben doch so aus: kein Strom, kein fließend Wasser, bescheidene Kost und nachts nur der Sternenhimmel über dem Kopf.